Undemokratische Geheimdienste gehören in die Geschichtsbücher!

Wer mitdachte, stand als Verschwörungstheoretiker da. Snowden zeigt: In Wirklichkeit ist alles noch absurder, als es je vermutbar war. (Foto: bluedesign - Fotolia.com)
Wer mitdachte, stand als Verschwörungstheoretiker da. Snowden zeigt: In Wirklichkeit ist alles noch absurder, als es je vermutbar war. (Foto: bluedesign - Fotolia.com)

Edward Snowden hat enthüllt, was lange unter vorgehaltenen Händen in weiten Teilen der Bevölkerung vermutet wurde. Doch wer laut den Verdacht äußerte, Geheimdienste der westlichen „Demokratien“ könnten praktisch den gesamten Datenverkehr der Welt mitschreiben und systematisch durchforsten, wurde schief angeguckt und für einen Verschwörungstheoretiker gehalten. Nun scheinen auch deutsche Geheimdienste in den Skandal tief verstrickt zu sein – nach den durch den NSU-Terrorismus aufgeflogenen Totalausfall des Verfassungsschutzes stehen die vermeintlichen Demokratiehüter nun selbst wie Demokratiefeinde da. Vor allem auch vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen disqualifiziert sich die gegenwärtige Bundesrepublik endgültig als Demokratie – wobei sich Deutschland doch selbst immer gern als Wiege der Volksherrschaft inszeniert. Auch die USA, die den Tod von Millionen von zig Menschen in Kauf nahmen und nehmen, um ihre zweifelhaften „Ideale“ (nämlich vor allem ihre überflüssigen Massenwaren) ins Ausland zu exportieren, sind mit ihren hohlen Versprechen aufgeflogen: Ihre Demokratie wurde erneut – wenn auch diesmal mit besonderer Härte ‒ als historischer Etikettenschwindel entlarvt. Auch die Großkonzerne haben durch ihre Kooperation mit Überwachungsinstitutionen mal wieder keine rühmliche Rolle gespielt – auch das ist aus der Historie bereits bestens bekannt.

Die Folgen der Enthüllungen Snowdens sind bisher kaum bemessbar. Immer wahrscheinlich scheint, dass Super-Abhörprogramme in den Geheimdiensten der finanzstarken Nationen der Welt inzwischen zum Standardprogramm gehören. Es wäre dabei naiv zu glauben, dass die Regierungen von USA, Großbritannien, Deutschland und Co. Milliarden Euro in die Hände nehmen und zehntausende Hochqualifizierte verbrennen würden, nur um den einen oder anderen terroristischen Anschlag zu verhindern: Zu offensichtlich stecken politische und wirtschaftliche Interessen hinter dem „War On Terrorism“, der spätestens mit der Invasion im Irak nach dem 11. September 2001 allgemein wahrnehmbar als fürchterlichste Heuchelei enttarnt wurde. Während sich die „wehrhaften Demokratien“ mit Waffengewalt und Abhörmethoden, von denen Stasi und KGB nichtmal zu träumen gewagt haben dürften, als Bewahrer der unveräußerlichen Menschenrechte darstellen, werden sie nun selbst zu Tätern, die Unschuldige aushorchen, verdächtigen und, wie in Guantanamo, sogar foltern und ohne Prozess bis zum Lebensende wegsperren. Die vermeintlich gesuchten Terroristen erscheinen bei diesen staatlichen Praktiken wie jämmerliche Anfänger.

So wirkt es von der schwarz-gelben Bundesregierung wenigstens in diesem einen Punkt, dass sie Snowden Asyl in Deutschland verweigert, in ihrer Politik konsequent: Einen besseren Beweis dafür, dass höchste Politikeliten in die Machenschaften eingeweiht oder zumindest mit zwei zugedrückten Augen wertvolle Informationen gern entgegengenommen haben, kann es kaum geben. FDP-Hoffnung Brüderle hat bereits zur Kenntnis gegeben, dass ihn bei den anstehenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA vor allem die Probleme der „Wirtschaftsspionage“ interessieren ‒ zu den Grundrechten der Bevölkerung gab es kein öffentlich wahrnehmbares Wort. Das ist der „Liberalismus“, den wir in Deutschland wählen dürfen.

Die Bevölkerung steht somit nicht nur vor einem politischen, sondern auch einem gesamtgesellschaftlichen Scherbenhaufen: Jede moderne Technologie steht nun unter einem berechtigten Generalverdacht, als Erweiterung einer monströsen Überwachungsmaschinerie zu dienen. Zugleich gibt es zu Angeboten wie von Google kaum vergleichbare Dienste, die sicher wirken würden. Somit kann sich jeder Einzelne nur nach Möglichkeit selbst helfen: E-Mails lassen sich mit jedem Computer ohne erheblichen Komfortverlust verschlüsselt übertragen (z.B. OpenPGP), für aktuelle Handys gibt es kostenlose Anwendungen zur sicheren Kryptografierung von Kurznachrichten (z.B. TextSecure) und Telefonanrufen (z.B. RedPhone), für die Internetnutzung gibt es ähnliche Anwendungen. Auch klassische Postbriefe lassen sich zumindest versiegeln. Dass wir heute um solche Maßnahmen, wenn wir unsere verfassungsmäßigen Grundrechte noch ernst nehmen, anscheinend nicht herumkommen, spricht nicht für den Zustand unserer Gesellschaft. Im Gegenteil: Wenn es nicht bald ein Einlenken gibt, könnten immer mehr Menschen den letzten Rest an Vertrauen in Politik und Wirtschaft verlieren. Auch die Folgen davon wären keineswegs eine Überraschung.

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NSU-Prozess: staatlich geförderten braunen Sumpf trockenlegen!

An den Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe knüpfen sich große Hoffnungen: Er soll nicht nur die Verantwortlichen für zehn Morde ihrer rechtmäßigen Strafe zuführen; er könnte auch unter Beteiligung einer kritischen Öffentlichkeit einen entscheidenden Beitrag dafür leisten, dass der immer tiefer und undurchsichtiger erscheinende Sumpf aus Rechtsradikalen, dem „Verfassungsschutz“ und den Ermittlungsbehörden endlich ausgetrocknet wird.

Derzeit lässt sich kaum erahnen, mit welchen fürchterlichen Details wir in den kommenden Monaten und Jahren noch konfrontiert werden. Bereits vor Prozessbeginn waren die Widersprüche und Vertuschungsaktionen kaum noch überbietbar: Angeblich hätte keine der nun in der Kritik stehenden Institutionen von der Existenz des „NSU“ gewusst, zugleich finanzierten die Nachrichtendienste Dutzende von Informanten in der Neonaziszene ganz in der Nähe der Terrorzelle ‒ unter ihnen aktenkundige Straftäter; selbst Zschäpe sollte angeworben werden. Auch die Theorie, dass der NSU als „Trio“, also als eine radikalisierte Ausnahme in einem ‚gemäßigten‘ Milieu, agierte, erscheint unhaltbar, vielmehr berichten zahlreiche Zeugen unabhängig voneinander, wie sie an Tatorten mehrere Personen vom Tatort fliehen sahen. Trotz (oder besser gerade wegen?) aller Unstimmigkeiten begannen manche Behörden kurz nach den ersten Anzeichen einer möglichen Aufklärung der Fälle mit der systematischen Vernichtung wichtiger Akten, und andere die „Trio“-Theorie stabilisierende Beweismittel tauchten urplötzlich auf teils kuriose Art und Weise auf (so haben die vermeintlichen „Profi-Terroristen“ beispielsweise einen ihrer Campingwagen förmlich mit frischen „Beweisen“ vollgestopft, die nur noch auf ihre Entdeckung warteten). Selbst dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss werden bis jetzt wichtige Dokumente vorenthalten.

Diese Liste voller Unstimmigkeiten könnte sich ‒ wenn Richter, Kläger und Staatsanwaltschaft ihre Verantwortung ernst nehmen ‒ noch erheblich verlängern. Immer deutlicher zeigt sich bereits jetzt, dass auf dem Grund dieses braunen Sumpfes noch Dinge zu Tage treten werden, die unser aller Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat und seine Institutionen noch tiefer erschüttern werden, als es bei vielen Desillusionierten ohnehin schon der Fall ist. Der vermeintliche „NSU-Terrorismus“ könnte sich als verheerendster Geheimdienstskandal seit Bestehen der Republik entpuppen und zu einer Staatskrise führen.

Die Empörung über das eigenartige Akkreditierungsverfahren für die (aus scheinheiligen Gründen) viel zu knapp bemessene Zahl von Pressevertretern rührt vor diesem Hintergrund vor allem daher, dass die Öffentlichkeit es nicht mehr den staatlichen Institutionen zutraut, alle verschleierten Zusammenhänge restlos aufzudecken und schonungslos zu durchleuchten. Im Gegenteil: Staatliche Einrichtungen stehen vielmehr selbst im dringenden Tatverdacht, nicht nur grob fahrlässig nachlässig gehandelt zu haben, sondern selbst aktiv die Arbeit von Verfassungsfeinden ideell und materiell gefördert zu haben. Es wird nicht nur Aufgabe der Prozessbeteiligten, sondern vor allem auch der kritischen Bevölkerung und der unabhängigen Presse sein, zu klären, wie viel Wahrheit an diesem schrecklichsten Verdacht hängt.

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Kampf um bessere Bilder: Warum wir auf der Berlinale an der Welt scheitern müssen

Als seine Mutter den Kampf gegen den Krebs verliert, möchte Charlie Countryman (Shia LaBeouf) nicht als letztes Bild in Erinnerung behalten, wie sie an Maschinen gefesselt im Krankenhaus im Sterben liegt. Er ersetzt diese letzten Augenblicke ihres Lebens in seinem Kopf durch Bilder der Erinnerung an seine Kindheit, als er und seine Mutter noch glücklich und gesund waren. Es verschlägt ihn nach einer Vision nach Bukarest, wo er auf der Suche nach einem anderen Leben auch wahre Liebe findet, doch die schöne Rumänin Gabi (zerbrechlich und stark zugleich: Evan Rachel Wood) ist nicht nur eine begnadete Orchesterspielerin, sondern auch die Frau eines brutalen Drogenbosses (Mads Mikkelsen). Weil auch Gabi die Bilder ihres toten Vaters loswerden möchte, überdeckt sie sie wie Charlie mit Erinnerung an bessere Zeiten, die wie die Bilder auf der Filmleinwand längst vergangen sind. Gemeinsam können Charlie und Gabi nur wenige Momente glücklich sein – nur ein paar Gespräche, vielleicht einen Donut, einen Kuss, eine gemeinsame Nacht dürfen sie teilen. Doch mehr gönnen ihnen die Widrigkeiten der Verhältnisse nicht: die „verdammte Welt“ macht ihren Einfluss geltend. Zum Schluss, als er zusammengeschlagen kopfüber an einer Brücke aufgehängt wird, muss Charlie Countryman – wie es der Filmtitel auch verspricht – sterben: Gabi erschießt ihn auf Anweisung des Verbrecherkartells und muss in eine Welt der Hoffnungslosigkeit zurückkehren. Doch dem naiven Jungen aus Amerika bleiben vor seinem Tod noch ein paar Augenblicke, um dieses letzte schreckliche Bild der Liebe, die die Waffe gegen ihn richtet, durch ein besseres zu ersetzen – durch Bilder der Erinnerung an eine Vergangenheit, die wirklich lebenswert war.

Sehnsucht nach besseren Bilder vom Leben in "The Necessary Death of Charlie Countryman" (Foto: berlinale.de)
Sehnsucht nach besseren Bilder vom Leben in "The Necessary Death of Charlie Countryman" (Foto: berlinale.de)

So wie es in „The Necessary Death of Charlie Countryman” den Protagonist_innen Gabi und Charlie ergeht, quälen sich die meisten Figuren in den Wettbewerbsfilmen der 63. Berlinale durch ein Dasein, dass man gern mal eben austauschen würde. Sie fliehen mutig in Abenteuer und Revolutionen, kämpfen gegen Unterdrückung, Verrat und Tristesse an, stehen ein für eine Zukunft, in der sich die andauernden Gegenwartsprobleme endlich auflösen. Doch sie alle gehen an diesen menschlichsten Wünschen zu Grunde: Im russischen Beitrag „Dolgaya schastlivaya zhizn“ („Ein langes und glückliches Leben“) muss der engagierte Landwirt Sascha, der eine ehemalige Kolchose bewirtschaftet und so echte Arbeit und echte Werte schafft, letztlich in Kauf nehmen, dass er gegen korrupte Politiker und habgierige Kapitalisten keine Chance hat, dass er in einem System existiert, das es nicht zulässt, etwas Echtes zu schaffen. In „Gold“ macht sich eine kleine Gruppe von Deutschen auf einen gefährlichen Weg zu Goldquellen im kanadischen Norden, um dort Reichtum zu erlangen, oder wenigstens genug Gold zu finden, um die Familie in New York durchzubringen, doch zum Schluss bleibt vom halben Dutzend nur eine Einzige (Nina Hoss) übrig, der Rest fällt vom Pferd, wird erschossen oder tappt in (die auf einer Berlinale schon fast zynisch wirkende) Bärenfalle. Und „Vic+Flo“, die aus der Haft entlassenen ineinander verliebten Frauen, können kein neues Leben jenseits von Stadt und Kriminalität beginnen: Auch sie tappen in Bärenfallen der Vergangenheit, die sie gehofft hatten, schon überwunden zu haben.

Auch auf dieser Berlinale sind die Bilder erbarmungslos: Keine Gesellschaft in unserer Welt hat bisher ihren Namen wirklich verdient, niemandem ist in der unersättlich-mörderischen Profitwirtschaft ein echtes Glück beschert, keiner darf ein wirklich menschenwürdiges gutes Leben führen – dabei hatte man uns das doch einst versprochen. Am Ende scheitern wir alle an einer Welt, die unerträglich unvollkommen und erschöpft wirkt, und bezahlen dafür immer mit dem Leben. Viele Filme, die jenseits der Festivals in den Multiplex-Kinos oder im Privatfernsehen gezeigt werden, würden über diese Daseinskonflikte einen Schleier der Lüge legen, naive Bilder des Glücks überkleben – wie es Charlie Countryman versucht, in seinem Kopf zu tun. Doch auch im Mainstream-Kino (und nicht nur dort) ist die allgegenwärtige Gesellschaftskritik längt angekommen, und das ist auch erst die Leistung der Filmkunst, für welche sie in allen Ländern geliebt wird: zu enthüllen statt zu verschleiern, zu kritisieren statt nur zu profitieren. Nur dann können sich einst die untoten Bilder des Schreckens, die uns auf und vor der Filmleinwand begegnen, in die guten neuen Bilder eines guten neuen Lebens verwandeln – wir hätten es verdient.

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Mein Programm für die 63. Berlinale

In diesem Berlinale-Jahr bin ich als Volunteer im Friedrichstadt-Palast eingesetzt. Da ist es nicht verwunderlich, dass ich bei dieser Gelegenheit die Pflicht – den Einsatz auf dem roten Teppich – mit dem Schönen – dem Sehen der neuesten Filme – verbinde. Daher bin ich vom 7. bis 14. Februar fast durchgängig nicht nur vor dem Friedrichstadt-Palast, sondern während der Filmvorführungen auch im Saal selbst anzutreffen. Hier mein Programm für dieses Jahr:

Donnerstag, 7. Februar 2013

20.30 Uhr – Yi dai zong shi – The Grandmaster – Friedrichstadt-Palast

Freitag, 8. Februar 2013

18.00 Uhr – Boven is het stil – It’s All so Quiet – Friedrichstadt-Palast
21.00 Uhr – Don Jon’s Addiction – Friedrichstadt-Palast

Samstag, 9. Februar 2013

12.00 Uhr – Promised Land – Friedrichstadt-Palast
21.00 Uhr – Les Misérables – Friedrichstadt-Palast

Sonntag, 10. Februar 2013

9.30 Uhr – Dolgaya schastilivaya szizn – A Long and Happy Life – Friedrichstadt-Palast
12.00 Uhr – Gold – Friedrichstadt-Palast
15.00 Uhr – The Necessary Death of Charlie Countryman – Friedrichstadt-Palast
18.00 Uhr – Maladies – Friedrichstadt-Palast
21.00 Uhr – The Look of Love – Friedrichstadt-Palast

Montag, 11. Februar 2013

12.00 Uhr – La Religieuse – Die Nonne – Friedrichstadt-Palast
15.00 Uhr – Vic+Flo ont vu on ours – Vic+Flo haben einen Bären gesehen – Friedrichstadt-Palast
18.00 Uhr – Mes séances de lutte – Love Battles – Friedrichstadt-Palast

Dienstag, 12. Februar 2013

12.30 Uhr – Before Midnight – Friedrichstadt-Palast
15.00 Uhr – Layla Fourie – Friedrichstadt-Palast
18.00 Uhr – The Broken Circle Breakdown – Friedrichstadt-Palast
21.00 Uhr – The Best Offer – Friedrichstadt-Palast

Mittwoch, 13. Februar 2012

12.00 Uhr – Side Effects – Friedrichstadt-Palast
15.00 Uhr – Camille Claudel 1915 – Friedrichstadt-Palast
17.45 Uhr – Kai Po Che – Brothers for Life – Friedrichstadt-Palast
21.15 Uhr – Tokyo Kaoku – Tokyo Family – Friedrichstadt-Palast

Donnerstag, 14. Februar 2013

12.00 Uhr – Prince Avalanche – Friedrichstadt-Palast
15.00 Uhr – Nachtzug nach Lissabon – Friedrichstadt-Palast
18.00 Uhr – Frances Ha – Friedrichstadt-Palast

Freitag, 15. Februar 2013

9.30 Uhr – Uroki Garmonii – Friedrichstadt-Palast
12.30 Uhr – Dark Blood – Friedrichstadt-Palast
16.00 Uhr – Berlinale Shorts IV – Cinemaxx 5
18.00 Uhr – Lovelace – Friedrichstadt-Palast
20.30 Uhr – Prince Avalanche – Friedrichstadtpalast

Samstag, 16. Februar 2013

9.30 Uhr – Nugu-ui Ttal-do Anin Haewon – Nobody’s Daughter Haewon – Friedrichstadt-Palast
12.00 Uhr – Elle s’en va – On my Way – Friedrichstadt-Palast
19.15 Uhr – Fynbos – CineStar 8
22.00 Uhr – Moddhikhane Char – Char… the No Man’s Island – Cinemaxx 4

Vielleicht sieht man sich ja!

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Leserbrief an die SPIEGEL-Redaktion zum Artikel „Die Übriggebliebenen“ (Heft 2/2013)

Sehr geehrte Redaktion!

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel „Die Übriggebliebenen“ von Antje Windmann und Guido Leinhubbert über die in Einsamkeit lebenden Senioren in Deutschland gelesen.

Ihre Redaktion hat mit Ihrem Artikel ein wichtiges Thema aufgegriffen, mit welchem ich mich auch in Teilen meiner Bachelorarbeit in der „Europäischen Medienwissenschaft“ an der Universität Potsdam beschäftigt habe. Ausgehend von der Einsamkeitsphilosophie Nietzsches und seiner Prophezeiung eines heraufziehenden Nihilismus habe ich mich mit medialen Äußerungsformen moderner Einsamkeit in unserer gegenwärtigen Gesellschaft auseinandergesetzt.

Schon Martin Buber wusste, dass die Kulturgeschichte eine Geschichte einer immer „kälter“ und „strenger“ werdenden gesamtgesellschaftlichen Einsamkeit ist. Die „Tötung Gottes“ durch die Unmenschlichkeiten der Weltkriege (die Nietzsche mit seinem berühmten Satz „Gott ist tot“ voraussieht) und ein alles und jeden zum Objekt degradierendes, diktatorisch agierendes Weltwirtschaftssystem haben den Menschen von heute in ein Zeitalter der unsteigerbaren Vereinsamung gestoßen.

Hiervon sind nicht nur die Millionen vereinsamten Rentner betroffen. In den Wohlstandgesellschaften hat sich die Einsamkeit längst zu einer pandemischen „Volkskrankheit“ entwickelt, die alle Schichten durchzieht: Familien verlieren an Bedeutung, zwischenmenschliche Bindungen werden auf ihren marktwirtschaftlichen Nutzen reduziert, Ein-Zimmer-Wohnungen und Kleinst-Abpackungen im Supermarkt sind populär (und teuer) wie nie. Zugleich sollen kostspielige Ratgeber, Dating-Plattformen und „soziale Netzwerke“ im Internet den Sprung aus der Verlassenheit organisieren — und treten sie tatsächlich erst recht fest.

In dieser Logik ist auch das in Ihrem Artikel beschriebene Phänomen der Alterseinsamkeit zu verstehen: Zusammen mit den unzähligen Singles, Großstädtern, Karrieristen, Straffälligen, Armen, Studierenden bilden die Rentner eine schweigende Armee von Vereinsamten, die sich mit Smartphones, Schnulzen — oder eben dem verzweifelten Druck auf den Notruf-Knopf ein bisschen Sozialersatz verschaffen. Eine solche „Gesellschaft“ wäre ihren Namen nicht mehr wert, sollte sie nicht rechtzeitig nach einer Neuen Gemeinschaftlichkeit rufen, ihr eigenes Menschsein wiederentdecken, sich endlich wieder als Kulturwesen mit Fähigkeit zu Liebe und Sozialität verstehen. Forderungen nach einem solidarischen Europa, neuen Formen des kollektiv organisierten Wirtschaftens und Entwürfe neuer Gesellschaftsmodelle in Philosophie, Kunst und Politikwissenschaft sind dabei hoffnungsvolle Schimmer am Himmel. Über diese neuen Konzepte würde ich gern mehr in Ihrem Heft lesen.

Herzliche Grüße,
Denis Newiak

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„Mit Mut und Hoffnung“: Potsdamer Antifaschist Otto Wiesner hat unsere Würdigung verdient

Derzeit feiert Potsdam kostenintensiv das 300. Jubiläum von Friedrich dem Großen: Für ihn werden Ausstellungen inszeniert, Veranstaltungen organisiert und in den Potsdamer Restaurants finden sich sogar ganze Menüs, die sich seines Namens bedienen. Dass der militaristische Monarch zehntausende Menschen auf dem Gewissen hat, wird nur am Rande erwähnt. Vor diesem Hintergrund werden zugleich zig Millionen in die Hand genommen, um das „Stadtschloss“, das Symbol dieser nicht gerade ruhmreichen Zeit voller Gewalt und Fremdbestimmung, wieder zu rekonstruieren – zynischer Weise als geplanter Sitz unserer institutionalisierten Demokratie. Wenn es um die Anlockung von Touristen oder die Idealisierung der preußischen Vergangenheit geht, stellen sich Potsdamer Amtsträger gern blind.

Genauso verlogen scheint mir die Diskussion um die Ehrung des Potsdamer Antifaschisten Otto Wiesner, der in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Mauthausen auf seine Vernichtung durch die Faschisten wartete, weil er als Kommunist für eine menschenwürdige und klassenfreie Gesellschaft einstand. Das neue Gutachten zum Leben Otto Wiesners, das in die Diskussion um eine angemessene Würdigung des Freiheitskämpfers neuen Schwung bringen sollte, bekräftigt in weiten Teilen das bereits Bekannte: Es bestätigt nicht nur, dass Otto Wiesner während seiner Internierung unzähligen Menschen lebensrettende Mahlzeiten zukommen ließ und dabei sein eigenes Leben riskierte, sondern auch, dass er in den 50er Jahren alle Parteiämter niederlegte, um sich seiner eigentlichen Aufgabe zu widmen: der Schriftstellerei und der Aufklärung der Jugend über das dunkelste Kapitel in der Menschheitsgeschichte. Dieser Aufgabe hat Otto Wiesner sein ganzes Leben geopfert – er hat es nicht nur uns Potsdamern vermacht, sondern unserer aller Zukunft, in der wir endlich gut und würdig leben werden dürfen. Hätten sich alle Menschen, deren Namen sich heute auf Straßenschildern und Gedenktafeln wiederfinden, so selbstlos verhalten, wären wir in dieser lebenswerten Zukunft schon längst angekommen.

Otto Wiesner, geb. 1910, gest.  2006 (Foto: M. Pilarski)
Otto Wiesner, geb. 1910, gest. 2006 (Foto: M. Pilarski)
Während der Produktion eines Dokumentarfilms für die Jugendarbeit des Humanistischen Verbandes habe ich Otto Wiesner, den guten Freund des Namensgebers des Willi-Frohwein-Platzes in Babelsberg, als einen solchen Menschen kennen gelernt: Einen zierlichen aber mutigen Menschen, der trotz aller Schreckenserfahrungen die unerschöpfliche Kraft aufgebracht hat, auf tausenden Diskussionveranstaltungen das Wort für Menschlichkeit und gegen Faschismus und Krieg zu erheben und junge Menschen für eine friedliche Zukunft zu begeistern. Selbst wenn Otto Wiesner kein Held gewesen sein soll, war und ist er über seinen Tod im Jahr 2006 hinaus für viele Menschen ein Botschafter, auf den unsere Stadt stolz sein kann. Oberbürgermeister Jann Jakobs und Ministerpräsident Matthias Platzeck haben das erkannt, ihn persönlich für seine Verdienste geehrt und ihn sich zusammen mit Willi Frohwein ins Goldene Buch der Stadt Potsdam eintragen lassen.

Nun wäre es an der Zeit, nach der Veröffentlichung des Gutachtens auf einem würdigen Niveau weiter zu diskutieren, so wie es in einem Kommentar der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 29. November berechtigterweise gefordert wird. Umso erstaunlicher sind die jüngsten Reflexreaktionen von Stadtpolitikern, das Gutachten als Abschlussplädoyer, als Pauschalverurteilung einer ganzen Lebensleistung zu deuten, statt die vorgebrachten – beinah durchgängig nicht nachweisbaren oder lediglich diffus oder abstrakt bleibenden – Vorwürfe in dem Gutachten wissenschaftlich, den historischen Umständen entsprechend und für eine Demokratie angemessen zu bewerten. Das wäre nicht nur im Sinne unserer Gesellschaftsordnung, sondern auch der Verfasserin des Gutachtens.

„Ich kann nicht alles beantworten“, sagt Otto Wiesner im Film „Mit Mut und Hoffnung“ über sich selbst.  Eines konnte er aber ganz bestimmt: Hoffnung geben, dass die Mitternacht der Menschheitsgeschichte überwunden ist und sich eine Dämmerung andeutet. Mir konnte er diese Hoffnung geben. Dafür danke ich ihm persönlich – und ich bin mir sicher, dass ich nicht der Einzige in Potsdam bin.

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Wie oft müssen wir noch leben, bis wir gut leben dürfen? – „Cloud Atlas“ erzählt vom Menschheitswunsch nach Zukunft

"Ein albtraumhaftes Café, blendende grelle Lichter unter der Erde und ohne Ausgang, und alle Kellnerinnen hatten das selbe Gesicht."
"Ein albtraumhaftes Café, blendende grelle Lichter unter der Erde und ohne Ausgang, und alle Kellnerinnen hatten das selbe Gesicht." (Still aus "Cloud Atlas", 2012)

Über manche Filme kann man nur schwer schreiben, denn sie beanspruchen für sich in jeder Szene, in jedem gesprochenen Satz und jedem erklingenden Ton so viel Bedeutung, wie sie nur die Filmkunst verkraften kann. „Cloud Atlas“ ist kein Meisterwerk, nur weil drei der visionärsten Filmkünstler der Gegenwart ein Gemeinschaftsprojekt verwirklicht haben, das bisher gültige ästhetisch-dramaturgische Grenzen weg sprengt, oder nur weil die größten Darsteller des Films gleich bis zu sechs Rollen in sechs verschiedenen Epochen verkörpern müssen. „Cloud Atlas“ ist ein monumentales Kunstwerk, weil es uns erklärt, was es bedeutet, Mensch zu sein, als Mensch zu leben und als Mensch zu hoffen.

„Ich werde mich diesem verbrecherischen Missbrauch nicht beugen!“, ruft ein Arbeiter-Klon im fern wirkenden Jahr 2144. Er ist nicht mehr bereit, erniedrigende Sklavendienste für die Industrie zu verrichten, nur um einen Anspruch auf das versprochene „Elysium“ zu erwerben. Den Satz hatte der Klon in einem alten Film aufgeschnappt. Später zeigt sich, dass das erhoffte „Elysium“ in Wirklichkeit nicht das Paradies, sondern der grauenhafte Tod ist. Sonmi, die die industrielle Vernichtung der Menschenklone entdeckt, wird zur Anführerin einer weltweiten Bewegung, die das Ausbeutungssystem umstürzen will – sie wird zu einer Prophetin, die für die Befreiung kämpft. Doch mit ihrem ununterdrückbaren Wunsch, in Würde und Freiheit zu leben, steht sie nicht allein – im Gegenteil: Der Drang nach gesellschaftlichem Fortschritt bedeutet das Menschsein selbst, und der unermüdliche Kampf um Menschlichkeit durchzieht die gesamte Kulturgeschichte. Im Film rettet der Anwalt Ewing einem Sklaven das Leben und setzt sich so einer menschenunwürdiger Unterdrückungsordnung zur Wehr; der Komponist Frobisher kann gegen die homophobe Gesellschaftsordnung seiner Zeit nur mit Mitteln der Musik ankämpfen – vorerst erfolglos; Investigativjournalistin Rey verhindert durch mutiges Wort eine nukleare Katastrophe, an der nur die heuchlerische Ölindustrie ein Interesse hat; der Verleger Cavendish bricht zusammen mit seinen neuen Freunden aus einem Altenheim aus, in welches er wie viele Millionen andere Alte abgeschoben wurde; Prophetin Sonmi wird zum Tod verurteilt, doch ihr Aufruf an die Menschheit überlebt und wird zur Grundlage für die Zukunft, die sie nicht mehr erleben darf. All diese Figuren eint der Wunsch, in einer Welt zu leben, die endlich lebenswürdig ist. Doch wie viele Menschen haben schon gelebt, um diesem besseren Leben wenigstens ein kleines Stück näher zu kommen? Wie viele Menschen werden noch leben und wie lange werden wir selbst noch leben müssen, bis wir endlich gut leben dürfen?

„Aus jedem Verbrechen und jedem Akt der Güte wird unsere Zukunft geboren“ – „Cloud Atlas“ gibt uns ein Gespür dafür, wie relevant jede einzelne unserer Handlungen ist, welchen Einfluss jedes kleinste unüberlegte Wort, die flüchtigste Geste, ein scheinbar unbedeutender Brief, ein kleines Kunstwerk auf Gegenwart und Zukunft hat. Auch wenn uns Politiker, Machthaber und Wirtschaftsbosse weismachen wollen, wir seien bereits am Ende unserer Reise angekommen, dass die sogenannte „soziale Marktwirtschaft“ das „Ende der Geschichte“ sei, wissen wir doch ganz genau, wann sich wirklich „etwas Bedeutendes ereignet“. Das Regie-Trio verweist in seinem Epos bildgewaltig auf die tödlichen Gefahren, die unserer Zukunft drohen, wenn wir heute nicht den Mut aufbringen, uns gegen die mörderischste aller Wirtschaftsordnungen zur Wehr zu setzen, Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Umweltzerstörung anzuprangern und ein würdiges Leben für alle Menschen einzufordern. „Ich glaube, auf uns wartet noch eine andere Welt. Eine bessere Welt.“ – Sollten wir diese Hoffnung jemals verlieren oder verraten, wären wir keine Menschen mehr.

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Romney als US-Präsident wäre eine globale Katastrophe

Erst vor wenigen Tagen ist Wirbelsturm „Sandy“ durch die Karibik und die USA gezogen und hat verheerende Verwüstungen hinterlassen, Dutzende Menschen starben. An eine Rückkehr in den Alltag ist in den betroffenen Gebieten noch nicht zu denken – doch die nächste, wohl noch zerstörerische und unmenschlichere Katastrophe könnte schon kurz bevor stehen: Sollte der ultrakonservative US-Präsidentschaftskandidat Willard Mitt Romney am kommenden Dienstag die Mehrheit der Wahlfrauen und -männer hinter sich vereinigen können (was nicht zwingend einer Mehrheit in der Bevölkerung gleichkäme), wären nicht nur die USA davon betroffen – es wäre eine Katastrophe, unter der die ganze Welt leiden müsste.

Romney hatte sich während seiner Kampagne damit abgemüht, die US-Bevölkerung davon zu überzeugen, dass Obama keine zweite Amtszeit verdient hätte: Der 44. US-Präsident habe es nicht geschafft, die US-Wirtschaft in Schwung zu bringen, die Arbeitslosigkeit zu senken oder Steuern zu senken. Wandel, „Change“, müsse sich an Taten messen lassen, nicht nur an Worten. Tatsächlich konnte Obama nicht alle seiner 2008 versprochenen Ziele erreichen – nicht zuletzt wegen der Verhinderungspolitik der Republikaner_innen im Repräsentantenhaus.

Doch welches Programm setzt Romney dagegen? Die Steuern will er senken, aber am liebsten nur für die Reichen, die schon heute unverhältnismäßig überprivilegiert sind, während 46 Millionen US-Bürger_innen in Armut leben; der Bundeshaushalt soll „saniert“ werden, natürlich auf Kosten von Schulen, Gesundheit und dem Katastrophenschutz, der kurzerhand privatisiert und föderalisiert werden soll (ein Glück für die Bevölkerung, dass „Sandy“ nicht die US-Wahlen abgewartet hat), während das Militärbudget ordentlich aufgestockt werden soll – Angriffskriege kosten bekanntlich Geld; da es im Land nicht genügend qualifizierte Frauen für Romneys Kabinett gibt, müsse nach diesen regelrecht gefahndet werden, damit sie sich in den berühmt gewordenen „binders“ abheften ließen – da braucht es auch kein Recht auf den eigenen Körper, sondern besser härtere Abtreibungsgesetze (sich trotz der Kriegsrhetorik und der geplanten Annullierung von Obamas wichtiger Gesundheitsreform auch noch „pro-life“ zu nennen, ist schlicht geschmacklos). Sanktionen gegen Homosexuelle gehören für Romney sowieso zum guten konservativen Ton. Angesichts dieses Steinzeit-Programms kann man sich nur fragen: Wer sind diese 48 Prozent, die sich in den Umfragen für Romney ausgesprochen haben?

Sollte Romney gewinnen, wird die Welt dafür teuer bezahlen müssen: Unter einem republikanischen US-Präsidenten müsste wieder mit Angriffskriegen gegen den nahen und mittleren Osten gerechnet werden, solche hatten unter Bush beispielsweise im Irak hunderttausende, vielleicht sogar mehr als eine Million zivile Opfer und tausende Soldaten gefordert. Sollte Romney US-Präsident werden, würde seine rückschrittige Umweltpolitik alle internationalen Bemühungen um eine Reduktion von Treibhausgas-Emissionen zunichtemachen und auf der ganzen Welt solche Naturkatastrophen befeuern, wie sie erst vor wenigen Tagen in Amerika wüteten. In einer globalisierten Welt hängt alles zusammen. Für sie, also auch für uns, wäre ein US-Präsident, der den ungebändigten entmenschlichenden Raubtierkapitalismus verkörpert, eine schreckliche Katastrophe. Die US-Amerikaner können sie noch verhindern.

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Alle Schulen brauchen gemeinschaftlich wirtschaftende Mittagsküchen!

Mensa-Essen muss nicht minderwertig sein. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist es das in der Regel leider doch.
Mensa-Essen muss nicht minderwertig sein. Doch dazu ist politischer Mut gefragt, um dem Markt seine Grenzen aufzuzeigen. Foto: Gerhard Seybert - Fotolia.com

Der länderübergreifende Lebensmittelskandal, bei welchem Tausende von Schülerinnen und Schüler an vergammelter Schulspeisung erkrankt sind, hat bei mir dunkle Erinnerungen an meine eigene Schulzeit geweckt. Während ich mich an den Unterricht gern erinnere, ist die Mittagsverpflegung bis heute ein Schandfleck. Mehrere privatwirtschaftliche Anbieter bewältigten innerhalb meiner siebenjährigen Ausbildung am Humboldt-Gymnasium in  Potsdam nicht die Aufgabe, ein stets gesundes, frisches und altersgerechtes Essen zu servieren: Beinah ausnahmslos waren die Mahlzeiten so unausgewogen, dass sie nicht nur ungesund waren, sondern auch nicht wirklich sättigten; ausgerechnet das hochpreisigste Essen (zu 2,50 Euro) war eine in einer Wegwerf-Aluschale servierte aufgebackene Tiefkühlpizza; einmal mussten einige meiner Freunde und ich das Erbrechen herbeiführen, weil wir nach dem Verzehr von bitterem Fisch Angst vor einer Vergiftung hatten. Die erbärmliche Qualität des Essens war keine unbekannte Größe in der Schule, weshalb viele meiner Mitschülerinnen und Mitschüler lieber ihr Mittagessen bei einem asiatischen Anhänger-Imbiss bezogen, sich mit einem in Ketchup und Senf getränkten Brötchen, Würstchen oder Schokoriegeln von der Snacktheke zufrieden gaben oder einfach gar nichts  zum Mittag aßen. Dass an einen geregelten Mittagsbetrieb nicht zu denken war, lag auch an mangelnden Sitzmöglichkeiten (teilweise musste auf den Treppen gegessen werden) und der viel zu kurzen Pause, während allein schon das Warten in der Schlange vor der Essensausgabe die Hälfte der Pausenzeit aufbrauchte.

Von Bekannten höre ich immer wieder, dass sich die Situation an den Schulen kaum gebessert hat. Die kürzliche Epidemie war nur die Spitze des Eisbergs – es mangelt nicht nur schlicht an Hygiene oder Kontrollen, sondern an sozial- und gesundheitspolitischem Mut, die Schulspeisung als fundamental für die körperliche und seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu behandeln. Nahrhafte, gesunde und vielfältige Mahlzeiten zu geregelten Zeiten sind ein Kulturgut. Es ist im 21. Jahrhundert erschreckend und für unser Wirtschaftssystem typisch zugleich, dass ausgerechnet bei den Grundbedürfnissen von jungen Menschen in absurdem Maße gespart wird. Es ist nicht überraschend, dass diese Entwicklung nun in flächendeckender Körperverletzung gipfeln musste. Die gesamtgesellschaftlichen nicht kalkulierbaren Schäden, die aus der schlechten Verpflegung folgern – Übergewicht durch Unausgewogenheit, Krankheiten infolge des Mangels an lebenswichtigen Nährstoffen, Unkonzentriertheit im Unterricht und nach der Schule, mangelhaftes Bewusstsein für die Wichtigkeit einer gesunden Ernährung bis ins Erwachsenenalter hinein usw. –, muss die Gesellschaft „bezahlen“, während sich – wie immer – die Wirtschaft sattverdient. Dabei könnte es ganz anders sein.

Als Student an der Universität Potsdam habe ich schätzen gelernt, was eine gute Pausenspeisung bedeutet: Täglich werden mindestens vier Speisen angeboten (dank des Einsatzes der Verfassten Studierendenschaft auch immer ein veganes), außerdem gibt es eine Salatbar, frisches Obst – und das bis in die Abendstunden hinein. Die Preise liegen zwischen 1,20 Euro (für ein einfaches sättigendes Essen) bis zu ca. 5 Euro (für aufwändige, vor den eigenen Augen zubereitete Menüs). Wer selbst kocht, zahlt oft mehr. Finanziert wird das Essen dreiteilig: Einerseits über den semesterweise eingezogenen Beitrag der Studierenden von 40 Euro, durch Subventionen des Landes und den eher symbolischen Kaufpreis. Es ist kein Wunder, dass die Mensen der Studentenwerke überfüllt sind und viele Studierenden nur an die Hochschule kommen, um gut zu essen.

So müsste es auch den Schulen sein: Verträge mit Billig-Caterern müssen der Vergangenheit angehören. Alle Schulen müssten ausnahmslos alle über eigene Küchen und gute Speisesäle verfügen, das Essen müsste dezentral direkt vor Ort anhand regionaler ökologischer Produkte zubereiten werden – organisiert durch eine selbstverwaltete Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Eltern sollten zur Finanzierung eine schuljährliche Pauschale leisten, z.B. 100 Euro. Dieser Betrag sollte bei Empfängern von Sozialleistungen ohne Antrag direkt aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden. Wenn auch Länder und Kommunen einen Zuschuss in Form von Inventar und Logistik leisten, würden selbst die derzeitigen „Discount“-Preise nur geringfügig steigen. Das geht nur, wenn die Irrlehre endlich aufgegeben wird, dass „Sparen“ in öffentlichen Haushalten ein Allheilmittel ist – tatsächlich ist es nur ein Synonym für die weitere Verschlechterung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu Lasten der darauf Angewiesenen zugunsten einer weiteren Bereicherung der ohnehin schon Reichen.

Sollte es hier nicht bald ein Umdenken geben, werden die Kosten hoch sein.

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Putin: Ein getarnter Revolutionär?

Mit wem haben wir es bei dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, eigentlich zu tun? Für Außenstehende ist diese Frage immer schwerer zu beantworten. Eigentlich deutet zunächst einmal alles daraufhin ‒ folgt man der Berichterstattung der Presse und von kritischen Nichtregierungsorganisationen ‒, dass hier seit gut zwei Jahrzehnten die Inkarnation der unersättlichen Gier nach Macht die Staatszügel in den Krallen hält und auch nicht abgeben will: Nach der großen Protestwelle gegen seine erneute Präsidentschaft hat der ‒ natürlich nur dank Fälschungen bei der Abstimmung ‒ neu „gewählte“ Staatsführer erst einmal das Demonstrationsrecht praktisch abgeschafft, Schikanen gegen die Presse verschärft und die meisten relevanten kritischen Stimmen weg gesperrt; ausländische Beobachter wurden kurzerhand als spionierende „Agenten“ eingestuft und noch auf anderen kreativen Wegen wurde der Opposition das Leben so schwer wie möglich gemacht ‒ als wenn es nicht schon vorher anstrengend genug gewesen wäre, in Russland etwas gegen Putin und seine Gefolgschaft aus der Regierungspartei und der stets treuen Großindustrie zu sagen. So scheint sich Putin mit erschreckendem Erfolg bisher recht effizient alle potentiellen Gegenspieler vom Leibe gehalten zu haben.

Bisher. Denn spätestens mit der Internierung von drei Musikerinnen der Gruppe „Pussy Riot“ platzt der Bevölkerung, die sich nach einem Leben ohne Putin ‒ dieser Symbolfigur für Unterdrückung, Korruption und Konservatismus ‒ sehnt, endgültig der Kragen: für September sind neue, noch größere Proteste geplant. Wirkt es so, als würde der Präsident durch solche Urteile wie das gegen die ehrlichen Worte der drei jungen Damen jeden Keim von Protest niederknüppeln können, erschafft er in Wirklichkeit mit jeder seiner Aktionen gegen die Aufbegehrenden nur neue und noch mutigere Kräfte, die dem System immer mehr zur ernsthaften Gefährdung werden. Mit der Stringenz, wie Putin immer wieder neue Knechtungen anwendet und damit neue Proteste förmlich provoziert, fällt es schwer zu glauben, hinter seinen Machenschaften würde nicht ein akribisch ausgeheckter Plan stecken.

„Путин зажигает костры революции“, singen die verbliebenen Bandmitglieder in einem neuen Protestsong gegen die an stalinistische Zeiten erinnernde Strafe von zwei Jahren „Arbeitslager“: Mit seiner Hetzjagd gegen die Freiheit „gießt Putin Benzin ins Feuer der Revolution“. Mit beeindruckender Detailtreue hat der Oberoligarch seine Vorgänger aus dem Zarenreich in ihrer Machtausübung kopiert ‒ und er muss sich dessen bewusst sein, welches brutale Schicksal diesen Monarchen und ihren profitierenden Helfern einst vor knapp einhundert Jahren ereilte. Wenn er das weiß, kann er in Wirklichkeit eigentlich nur ein ausgefuchster Revoluzzer von der besonders heimtückischen und märtyrerhaften Sorte sein. Oder er ist ‒ was, alles in allem, letztlich doch naheliegender ist ‒ schlicht und ergreifend ein dummer Diktator, der nicht merkt, wann genug ist.

Doch egal, ob nun Putin der vielleicht am besten getarnte Revolutionär unserer Zeiten ist oder nicht: In Russland braut sich etwas zusammen. All die weltweit wahrnehmbaren Widersprüche ‒ eine Klassengesellschaft von absolut Verarmten, die in Schränken wohnen und sich im Alkohol ertränken müssen, und unverdient Superreichen, die in einem Leben perverser Dekadenz stets nur auf der Suche nach einem neuen Designerpullover für ihre Köter sind, bei gleichzeitig ungebremst voranschreitender Umweltzerstörung ‒ sind in Russland dermaßen unüberbietbar zugespitzt, sodass es jeden Menschen gesunden Verstandes krank machen muss, in solchen Verhältnissen zu leben. Putin selbst ist durch das von ihm gepflegte Image als Großmeister der Korruption mit seinen Villen, Fliegern und Luxusuhren im Gesamtwert von mindestens einer Milliarde Euro (MAZ vom 28. August) zur Verleiblichung dessen geworden, worauf sich die berechtigte Missgunst der Menschen fokussiert.

Überall auf der Welt, in jedem Popsong und jedem Hollywoodfilm, ist von diesen Widersprüchen inzwischen die Rede, doch was oft nur bei einer wirkungslosen Anmerkung aus Anstand bleibt, hat in Osteuropa heute die erneute Chance, sich in ungezügelten Taten zu entladen ‒ es wäre nicht das erste Mal. Wofür einst die Welt noch nicht reif war, könnte dieses Mal Wirklichkeit werden. Es wäre auch höchste Zeit.

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