Am letzten Mittwoch konnte in den Zeitungen nachgelesen werden, dass wir in Deutschland irgendwie reich sein müssen – schließlich seien unser aller Geldvermögen erneut angewachsen: Die Bundesbank verkündete die gespenstische Zahl von knapp fünf Billionen Euro, die in deutschen Privathaushalten in Form von Geld, Wertpapieren und Versicherungsansprüchen schlummerten. Für die Bundesbank ist das nur eine Zahl, die sie jährlich veröffentlichen muss. Doch für die Öffentlichkeit soll diese Zahl in der Presse untermauern, wie gut es ‚uns‘ doch geht, dass wir keinen Grund zu jammern hätten, dass es sich unter den gegenwärtigen Gesellschafts- und Wirtschaftsverhältnissen beinah „zu gut“ leben würde. Doch was bedeuten diese ominösen fünf Billionen Euro eigentlich?
Wenn wir diesen Betrag durch die mutmaßliche Bevölkerungszahl in der Bundesrepublik teilen, ergibt sich, dass Jede und Jeder in Deutschland durchschnittlich etwas über 60.000 Euro an Geldwerten sein Eigen nennen kann, zum Beispiel jeweils gute 20.000 Euro auf dem Konto, in Aktien und über die Lebensversicherung. Aber was haben diese Werte mit den wirklichen Lebensverhältnissen in Deutschland zu tun? Ist es wirklich die Breite der Bevölkerung, die es sich leisten kann, mal eben eine Eigentumswohnung einfach „beiseite“ zu legen? Unter meinen Bekannten und auch in der engsten Familie fällt mir niemand ein, der über solche Beträge verfügen würde, im Gegenteil. Und auch ich selbst (wenn auch noch Student) spiele mit meiner Sammlung von zwei Dutzend Silbermünzen und einem Anteil bei der Wohngenossenschaft in einer anderen Klasse ‒ „außer Konkurrenz“
Was die Bundesbank nicht sagen muss, hat die Presse, die komplexe Sachverhalte für die Leserschaft verständlich und zugänglich machen soll, einfach eiskalt verschwiegen – nämlich, wem dieses viele Geld eigentlich gehört: Es ist nicht die Mehrheit der Leserschaft dieses Blogs, sondern vielmehr eine dünne Schicht von wirtschaftlich Bemächtigten, die in den gegenwärtigen Verhältnissen Kontakte, Erbe oder Glück gehabt haben. Zur Wahrheit gehört, dass in Deutschland fast zwei Drittel der Vermögen in den Händen des reichsten Zehntels liegt, während gut die Hälfte der Bundesbürger so gut wie überhaupt nichts und das ärmste Zehntel sogar noch weniger als nichts besitzt. Es ist die gleiche Wahrheit, die die Bundesregierung in ihrem letzten Armutsbericht auf den letzten Seiten versteckt hat ‒ denn diese Wahrheit ist vielmehr ein Armutsbericht für die Menschen, die diese Zustände durch mörderische Politik unterstützen oder sie zumindest nicht aktiv bekämpfen.
So geht es in dieser Statistik nicht um die Menschen, die in diesem Land leben, sondern um eine anonyme Masse von Staatsbürgern, von der man nur in Durchschnitten rechnen möchte. Vor allem schützt diese Weise des Schönredens eine herrschende Klasse von Reichen – indem sie den Durchschnitt nach oben verzerren, steht ihre Ideologie selbst als das Erfolgsrezept Deutschlands da. Wer wirklich etwas über die Gründe der „Konjunkturflaute“ in Deutschland (und auch im restlichen Europa und auf der gesamten Welt) erfahren will, sollte seine Untersuchungen differenzierter anstellen und die Ideologie lieber zuhause lassen. Was also eine solche abstrakte Zahl in den Nachrichten der für die breite Bevölkerung bestimmten Tageszeitungen zu suchen hat, bleibt ein Rätsel: Sie hat keinen Neuigkeitswert, ist für den Großteil der Leserschaft uninteressant und wenn überhaupt für die Fiskalpolitik relevant. Über das Leben der Menschen in Deutschland sagt sie nicht das Geringste.