Der weiße Adler zieht von dannen, Kunstfreiheit und das Politische folgen ihm

Zum Abschuss freigegeben: Kunstwerk von Peter Kulka im Brandenburger Landtag (Bild: Julian Nitzsche, CC-Lizenz)
Zum Abschuss freigegeben: Kunstwerk von Peter Kulka im Brandenburger Landtag (Bild: Julian Nitzsche, CC-Lizenz)

Wenn man sich als Student einer Kunstwissenschaft mit dem schwierigen Verhältnis zwischen Politik und Kunstfreiheit auseinandersetzt, scheint es, als würde es sich stets um eine historische oder zumindest ferne Diskussion handeln: Staatliche Eingriffe in das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern verortet man vielleicht in der DDR oder im Herrschaftsgebiet irgendwelcher Despoten jenseits unserer Breiten. Dass man weder zeitlich noch örtlich weit reisen braucht, um ein zumindest streitbares staatliches Kunstverständnis zu beobachten, lässt sich wohl nirgendwo so typisch nachvollziehen wie in Potsdam: Mitte letzten Jahres musste sich Architekt Rainer Becker rechtfertigen, warum er mit dem „Gitter“ am Panoramafenster des neuen Potsdam-Museums eine ‚Sichtachse‘ auf das umstrittene Landtagsschloss zustelle, der Berliner Lutz Friedel musste Rede und Antwort stehen, warum er es wage, eine Ausstellung in einem Landtag zu eröffnen, bei dem auch verfremdete Bilder von früheren Diktator_innen neben denen von Held_innen hängen, und monatelang schien es keine wichtigere Fragen zu geben als die, wann Peter Kulkas ‚weißer Adler‘ endlich Platz mache für das vermeintlich allseits so geliebte rote Wappentier des Landes. Die öffentliche Diskussion war berechtigt, genau diese macht Kunst erst interessant. Aber die martialische Rhetorik des Verbots seitens der Politik war überflüssig und verfassungsrechtlich bedenklich. Sie stellte nicht nur das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Frage, sondern verbrannte auch wertvolle Ressourcen, die man für die wirklich wichtigen Fragen in Stadt und Land gebraucht hätte, denn statt über die wachsende Ungleichheit zwischen den Potsdamer Stadtteilen oder zwischen Stadt- und Landbevölkerung im Land und über die Würde des Menschen in einer veralteten Wirtschaftsordnung zu debattieren, erlebte die Bevölkerung Diskussionen um die Würde des Stadtschlosses. Auf Stadtschlösser kann man verzichten, auf Menschen nicht. In Stadtschlössern diskutiert es sich aber auch gut über Nichtigkeiten, während man bei steigenden Mieten, harter Arbeit und winzigem Einkommen jenseits der Preußenfassade natürlich andere Sorgen hat.

So ist es kein Wunder, dass professionelle Politiker_innen gern auf den Zug der Kunstverschmähung aufgesprungen sind, viele von ihnen sind schließlich dafür bekannt, gern Scheindebatten zu führen, um wichtigen inhaltlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Schließlich ist es komfortabler für einen CDU-Menschen wie Dieter Dombrowski oder Beate Blechinger, sich der eigenen konservativen Wählerschaft gegenüber als kämpferische Retter_innen des angeblich identitätsstiftenden Symbols zu inszenieren. Dass sich wohl die meisten Menschen eher mit Werten von sozialer Gerechtigkeit und Freiheit als mit eingefärbten Greifvögeln identifizieren, wäre schon zu politisch für die Politik, wie wir sie heute erleben müssen. Selbst die Ritter der „Freiheit“ von der FDP, von denen man wenigstens in dieser Diskussion Besinnung auf die Grundwerte – wenn auch zumindest nur zu Profilierungszwecken – hätte erwarten können, griffen fataler Weise zu kriegsverherrlichenden Kampfparolen und damit selbst für ihre Verhältnisse erstaunlich weit daneben, wie der Abgeordnete Gregor Beyer mit „Seine Fahne trägt man hoch – und wenn es das Schicksal will, fällt man auch darunter“ wohl kaum sich selbst gemeint haben will, denn das Auskommen als Landtagsabgeordneter ist eben doch komforabler und ungefährlicher als im realen Auslandseinsatz: Hier werden Leben nicht von Soldat_innen, sondern vor allem der örtlichen Zivilbevölkerung genau für diesen mörderischen Pathos vernichtet. Eine Entschuldigung für solche sprachlichen Verirrungen in einem deutschsprachigen Landtag ist von den um Bedeutung ringenden Pseudo-Liberalen kaum zu erwarten.

So bleibt bei den Diskussionen ein mulmiges Gefühl zurück: Dass es in unserem Land keine Politiker_innen im engeren Sinne mehr gibt, sondern nur noch austauschbare Gesichter, die von Plakaten herabgrinsen, ohne politisch zu sein, dass man in unserem Land staatlich dazu genötigt wird, seine eigenen Kunstwerke zu deuten, um ihre Existenzberechtigung nachzuweisen, auch wenn das nichts mehr mit Freiheit der Kunst zu tun hat, und dass auch die letzten Reste an Vernunft und Kritik aus dem neuen Landtagsschloss getilgt werden sollen. Statt dem ohnehin völlig überflüssigen Preußenschloss wenigstens einen Hauch von Moderne zu verleihen, hat man sich dafür entschieden, vergangene Werte aus vergangenen Zeiten wiederzubeleben. Wer weiß, ob die Protagonist_innen dieser Debatte noch stolz unter ihrem „roten Adler“ in ihrem Landtag stünden, wenn sie wüssten, wie Kunstwissenschaftler von morgen über ihre Geschichte schreiben.

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