Vorzeichen einer guten Zeit

Wer mich kennt, weiß, dass ich mir lange Zeit nehme, bevor ich etwas hoch zu loben beginne, meine ungebremste ehrliche Begeisterung für etwas zu zeigen, nur das Gute an sich und nicht auch alle negativen umgebenden Rahmenbedingungen zu sehen. Heute ist ein Tag, an dem all das zutreffend ist, an dem ich mich durch und durh erfüllt und menschlich fühle – und überraschender Weise gehört da nicht sehr viel mehr zu als ein paar herzliche Worte, eine Aufmerksamkeit und eine Fahrt im Nachtzug der Norwegischen Staatsbahn.

Der heutige fünfte Tag meiner Skandinavienrundreise begann alles andere als erfüllt: Nach einer kurzen zweiten Nacht in Oslo, die leider schon früh um sechs enden musste, mussten meine Reisebegleitung und ich leider feststellen, dass der Bus von unserem etwas abgelegenen Hotel im Osloer Osten zur „Sentralstasjon“ erst ab 8 Uhr fährt – also zu einem Zeitpunkt, zu dem wir schon längst im Zug nach Trondheim sitzen müssten. Ein zügiger Lauf mit schweren Rucksäcken durch die düsteren Osloer Wohngebiet beginnt, doch dank mobiler Navigation kommen wir überpünktlich am Hauptbahnhof an. Von hier an beginnt ein Tag, den ich vorübergehend als „Tag der Erfülltheit“ bezeichnen möchte.

Die Zugfahrt durch endlose Täler Norwegens, vorbei an schneebdeckten stolzen Bergen und ruhigen breiten Flüssen, die ineinander gehen und ein unbeschreibliches bild von Schönheit ergeben, war eine der schönsten meines Lebens, selbst die Schweizer Hochtäler und die Rhätischn Bbahn kommen da schwer gegen an. Nach sieben Stunden erreichen wir Trondheim – und machen Erfahrungen, die uns am Abend vielleicht zu den glücklichsten Leute der Welt – oder wenigstens des Nachtzuges machen.

In Trondheim ist am Tag des „Herrn“ denkbar wenig los, die Stadt, etwa so groß wie Potsdam, versteckt sich gut vor seinen Besucher_innen. Bei minus sieben Grad denken die meisten nur an eine warme Tasse Tee und ein Dach über dem Kopf. Wir auch – und finden es in einer Kirche, in dernicht gepredigt wird, sondern die Menschen in kleinen Gruppen sitzen, ohne frontal eine Gehirnwäsche zu erfahren. Stattdessen unterhalten sich die Leute über das, was sie im Hier und jetzt bewegt: Die Probleme im Job, eine neue Idee oder einfach die Sehnsucht nach einem Umbruch. Tee und Marmeladenbrote gibt es für jeden Menschen, ohne Tauachzwang, ohne marktwirtschaftliche Wucherpreise, Pappbecher oder künstliche gekaufte Freundlichkeit. Ich zünde eine Kerze an und freue mich, dass sich selbst die Kirche zu dem entwickeln kann, was ich mir schon in meinen Wunschvorstellungen erträumt habe.

Nach diesem Erlebnis häuft sich das Gute: Jede Keinigkeit wie kostenlose Toiletten (wenn jeder Gang sonst 10 Kronen, also etwa 1,50 Euro kostet, ist das schon eher lebenserhaltend) oder mobiles teuer erworbenes Internet, dessen Bandbreite wie durch ein revolutionäres Wunder plötzlich nicht mehr künstlich eingeschränkt sondern mit seiner vollen verfügbaren Leistung zur Verfügung steht, wirken wie die Vorboten einer guten Zeit. Im Burger King setzt sich eine Norwegerin zu uns und schüttet uns ihr Herz aus, als würde es kein Morgen geben. Sie beneidet uns um unsere kleine Reise, und wir sie für ihre uneingeschränkte Offenheit, die nicht in einem Blog detailliert ausgeführt werden soll.

Um 23.30 Uhr steigen wir, erschöpft und voller guten Eindrücke in den Nachtzug: Frische Betten, eine kleine Flasche Wasser und eine Steckdose warten auf uns. Auf dreieinhalb Quadratmetern. Vor Glück kommen wir aus dem Schwärmen nicht mehr heraus, jedes Detail in diesem kleinen unbedeutenden Zugabteil wirken wie die Botschafter einer nahen Zukunft, wo Menschen glücklich sein können, auch ohne lächerliche Inszenierungen wie während der Pfarrerernennung an diesem Abend in der Nidaros Domkirke. Was braucht ein Mensch schon zum Leben? Nicht viel, und damit gebe ich mich gern zufrieden, solange nicht für alle Menschen wirklich mehr sein kann.

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